von Dr. Barbara M. Eggert, Kunstuniversität Linz. –
Am Anfang steht die Definition. So wünschen sich das zumindest die Jurist*innen. Ob ein Gesetzesparagraph zur Anwendung gelangen kann, steht und fällt in der Regel bereits damit, dass es Übereinstimmungen über die Kernbegriffe des Sachverhalts mit den Legaldefinitionen des Rechtstextes gibt, dass sich diese Kernbegriffe unter die Legaldefinitionen subsummieren lassen. Für die ausdifferenzierte und facettenreiche Institution Museum gibt es auch jetzt keine Legaldefinition – und schon gar nicht eine international verbindliche, die gleichzeitig so offen sein müsste, dass sie nicht einer europäisch-hegemonialen Begriffsschablone folgt. Daher kann der Begriff Museum von allen frei für alles verwendet werden, was für eine unübersichtliche Situation sorgt. Dieser Wildwuchs birgt spätestens dann Probleme, wenn es um ethische Verpflichtungen und Selbstbindungen von Museen und – let’s face it – staatliche Subventionen geht. Hierfür braucht es eine vereinbarte Definition als Orientierungshilfe und „Richtschnur“.
Wer soll nun aber bestimmen, was ein Museum ist? Das 1946 in Kooperation mit der UNESCO gegründete International Council of Museums (ICOM), das mittlerweile in 151 Ländern vertreten ist, hat zum ersten Mal in seinem Gründungsjahr aus den eigenen Reihen eine Museums-Definition vorgelegt, die seither in unregelmäßigen Abständen überarbeitet wurde.
Von 2007 an galt die in den Ethischen Richtlinien für Museen fixierte Passage:
Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.
In vielen Ländern galt diese Definition als Maßstab für die Ausrichtung der nationalen Museumspolitik und die Gewährung von Subventionen.
Ein erster Anlauf
In Reaktion auf seitdem erfolgte gesellschaftliche Herausforderungen und Veränderungen sollte 2019 bei der 25. Generalkonferenz von ICOM in Kyoto eine neue progressivere und aktivistischere Definition verabschiedet werden, um für die Institution Museum den Weg zu einer neuen Identität zu ebnen:
Museen sind demokratisierende, für jeden zugängliche und mehrstimmige Räume für den kritischen Dialog über vergangene und zukünftige Entwicklungen. Indem sie die Konflikte und Herausforderungen der Gegenwart anerkennen und sich damit auseinandersetzen, sorgen sie dafür, dass Artefakte und Exemplare für die Allgemeinheit aufbewahrt, vielfältige Erinnerungen für zukünftige Generationen konserviert und für alle Menschen die gleichen Rechte und der gleiche Zugang zu kulturellem Erbe garantiert werden.
Museen sind nicht auf Profit ausgerichtet. Sie sind partizipative, transparente Einrichtungen, die in aktiver Partnerschaft mit und für unterschiedliche Gemeinschaften an der Erfassung, Bewahrung, Erforschung, Interpretation, Darstellung und Vertiefung verschiedener Weltanschauungen arbeiten. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag zur Menschenwürde, zur sozialen Gerechtigkeit, zur globalen Gleichheit und zum Wohl der Erde zu leisten.
Drei Jahre Diskussion
Hierzu ist es nicht gekommen, doch setzte unmittelbar hierauf ein langwieriger mehrstufiger Modifikationsprozess unter der Federführung von ICOM Define, dem Standing Committee for the Museum Definition ein, der zur aktuellen – vorerst nur auf Englisch, Französisch, Spanisch und Tschechisch vorgestellten – Version führte, die am 24. August bei der 26. Generalkonferenz der ICOM im Rahmen einer außerordentlichen Generalversammlung in Prag verabschiedet wurde:
A museum is a not-for-profit, permanent institution in the service of society that researches, collects, conserves, interprets and exhibits tangible and intangible heritage. Open to the public, accessible and inclusive, museums foster diversity and sustainability. They operate and communicate ethically, professionally and with the participation of communities, offering varied experiences for education, enjoyment, reflection and knowledge sharing.
Im Vergleich zum Vorschlag von Kyoto klingt die neue Definition je nach Einschätzung bodenständig, handzahm oder zahnlos. Und alle diese Einschätzungen waren in den Tee- und Kaffeepausen in Prag zu hören. Gleichwohl wurde die neue Formulierung mit 92,41% angenommen.
Wer entscheidet? Fragen der Repräsentation
Wer waren aber diese 92,41% ? War der Weg zur Formulierung zumindest nach formalem Anschein äußerst basisdemokratisch und für alle Mitglieder möglich, so galt dies nicht für die Abstimmung vor Ort, an der 527 wahlberechtigte Mitglieder teilnahmen. Dieses Procedere, den Mitgliedern bei einer so wichtigen Entscheidung unterschiedliche Rechte zuzuweisen, wurde vor Ort stark kritisiert. Möglichkeiten einer digitalen Partizipation am Wahlvorgang ließen sich weder vor Ort noch off site klären – auch nicht im Nachgang. Man kann hierin durchaus ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt aus der noch wenig egalitären Gründungsphase von ICOM mit ihren hierarchischen Strukturen sehen. Hinzu kommt, dass kaum jemand unter 30 – ich wage noch weiter zu behaupten: und wenige Personen unter 50 – überhaupt an der Konferenz teilnehmen konnten. Während die ICOM-Mitgliedschaft erschwinglich ist, gilt dies nicht unbedingt für die Generalkonferenzen, ein weitere Kritikpunkt, der mehrfach geäußert wurde. Die Konferenzgebühr selbst ist zwar noch im angemessenen und je nach Herkunftsregion gestaffelten Rahmen, dazu kommen aber Fahrt und Unterkunft. Dies ist für Personen, deren Teilnahme nicht vom Arbeitgeber gedeckt wird, oder als Selbstzahler*innen keinen Vollzeitposten bekleiden – und dies sind in der Regel die Kolleg*innen unter 30 – eine erhebliche Ausgabe. So kommt es zu einem strukturellem Ungleichgewicht bei der Teilnahme im Allgemeinen wie bei den Wahlberechtigen im Besonderen. Hier besteht Handlungsbedarf, um die heterogenen Mitglieder besser repräsentiert zu sehen. ICOM muss sich verjüngen und durchmischen.
Anordnungen und Fehlstellen
Für Verdruss auf inhaltlicher Ebene sorgten ganz unterschiedliche Punkte. Beanstandet wurden Details, wie die Reihenfolge der Wörter bei dem umrissenen Aufgabenspektrum. Nicht wenige hätten das Sammeln gerne vor dem Forschen angesiedelt gesehen – des gilt selbstredend für Häuser, die eigene Sammlungen haben. Und dies sind bei weitem nicht alle. Für Ärger sorgte auch, dass der rechtmäßige Erwerb der Artefakte nicht in die Definition aufgenommen wurde. Angesprochen gewesen wären hiermit Raubkunst, Kolonialismus und weitere Unrechtskontexte – und die damit verbundene Verpflichtung zur Restitution.
An dieser Stelle ist auf den Anfang des vorliegenden Textes zurückzukommen, die Passage, in der es um die Subsumierbarkeit geht. Hierin liegt die Stärke der im Vergleich zur Kyoto-Fassung viel abstrakteren Definition, die vielfach nicht gesehen wurde. Was die einzelnen Häuser beispielsweise unter ethischer (professioneller) Kommunikation verstehen, ist Auslegungssache und kann durchaus unterschiedlich interpretiert werden. Diese eigene Interpretation kann als Grundlage zur Selbstverpflichtung durchaus eine intensive Aufarbeitung der eigenen Sammlungsgeschichte und einer damit verbundenen Restitutionspraxis implizieren. Hier ist Eigeninitiative gefragt.
Pushing the Frontier
Wie Gesetzestexte, so hinkt auch die Museums-Definition immer ein Stück weit hinter den Anforderungen der Realitäten hinterher, auf die beide reagieren. Beide Textsorten sind jedoch nicht in Stein gemeißelt. Und so wird auch die neue Definition in absehbarer Zeit modifiziert werden. Bis dahin gilt es, die aktuelle Definition möglichst gut auszulegen und zu nutzen, um – auch durch best practice – eine Grundlage für die nächstfolgende Definition zu schaffen. Zu begrüßen ist unbedingt, dass in der jetzigen Version Diversität, Inklusion, Nachhaltigkeit und Community explizit erwähnt sind. Die neue Definition stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, weiterführende und weitreichende Selbstverpflichtungen sind daher unproblematisch möglich – ein Zurückbleiben hinter diese neue Grenze hingegen nicht.